Ein Arbeitszeugnis ist kein Schulzeugnis

von Nancy Novak

Immer wieder sind Arbeitszeugnisse, insbesondere nach der Beendigung von Arbeitsverhältnissen, Gegenstand von Streitigkeiten zwischen den (ehemaligen) Arbeitsvertragsparteien. Dabei geht es nicht nur um die Frage, ob ein Zeugnis formal ordnungsgemäß ausgestellt wurde, sondern vielfach auch um den konkreten Inhalt.

In formeller Hinsicht stellen sich in der arbeitsrechtlichen Praxis immer wieder Fragen zum Zeugnisaufbau, wie mit Rechtsschreibfehlern umzugehen ist, ob geknickte und getackerte Zeugnisse oder solche mit ausgefüllten Adressfeldern hingenommen werden müssen. Inhaltlich geht es oftmals um einzelne konkrete Formulierungen oder eine Unvollständigkeit des Zeugnisses, das sich gegebenenfalls zu aus Arbeitnehmersicht wesentlichen Eigenschaften und Fähigkeiten nicht verhält.

Nun hatte das Bundesarbeitsgericht darüber zu entscheiden, ob ein Zeugnis in Tabellenform – ähnlich einem Schulzeugnis – erteilt werden kann.

Konkret ging es um einen Elektriker, der das Arbeitsverhältnis nach fast 10 Jahren Betriebszugehörigkeit selbst gekündigt hat. Das dem Elektriker erteilte Zeugnis erinnerte hinsichtlich der Form an ein Schulzeugnis: Die Aufgabenstellung wurde – beurteilungsfrei – definiert und anschließend einzelne Tätigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten des Arbeitnehmers sowie dessen Verhaltensweisen stichpunktartig aufgeführt und nach den üblichen Schulnoten (sehr gut, gut, befriedigend, etc.) bewertet.

Mit diesem Zeugnis war der Arbeitnehmer nicht einverstanden und klagte vor dem Arbeitsgericht Herford, das der Klage teilweise stattgab und ein Zeugnis im Fließtext formulierte. Das Landesarbeitsgericht Hamm wiederum berichtigte auf die Berufungen beider Parteien hin das vom Arbeitsgericht Herford formulierte Zeugnis und hielt ein Zeugnis in tabellarischer Form für zulässig.

Sodann landete die Streitigkeit beim Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 27.04.2021 - 9 AZR 262/20), das ein Zeugnis in Form einer tabellarischen Darstellung und Bewertung stichwortartig beschriebener Tätigkeiten nach „Schulnoten“ als nicht den Anforderungen eines qualifizierten Zeugnisses nach § 109 GewO genügend erachtete. Das Bundesarbeitsgericht führt aus, dass ein qualifiziertes Zeugnis ein individuell auf den einzelnen Arbeitnehmer zugeschnittenes Arbeitspapier sei, das dessen persönliche Leistung und sein Verhalten im Arbeitsverhältnis dokumentieren soll. Es stelle eine individuell an den einzelnen Arbeitnehmer angepasste Beurteilung dar. Diesen Anforderungen werde regelmäßig nur ein individuell abgefasster Text gerecht. Nur durch einen solchen würden sich individuelle Hervorhebungen und Differenzierungen angemessen herausstellen lassen. Das streitgegenständliche Zeugnis in Form eines Schulzeugnisses führe lediglich eine Vielzahl einzelner Bewertungskriterien gleichrangig nebeneinander auf. Die für die konkrete Tätigkeit prägenden Merkmale würden im Kontext der übrigen Bewertungskriterien ihre Bedeutung verlieren und das Zeugnis daher nur eine geringe Aussagekraft entfalten.

Im Gegensatz zu einem qualifizierten Arbeitszeugnis würden die Noten eines Schulzeugnisses in der Regel auf schriftlichen Leistungsüberprüfungen eines bestimmten Lernstoffs beruhen.

Ein in dieser Form erteiltes qualifiziertes Zeugnis erweckte den unzutreffenden Eindruck einer besonders differenzierten, präzisen und objektiven Beurteilung. Bei der Beurteilung in einem qualifizierten Arbeitszeugnis handele es sich aber letztlich um eine subjektive Einschätzung.

Das Bundesarbeitsgericht verwies die Angelegenheit an das Landesarbeitsgericht zurück, das nun – so der Hinweis des Bundesarbeitsgerichts – konkrete Feststellungen zu den vom Elektriker verrichteten Tätigkeiten sowie zu dessen Arbeitsleistung in qualitativer und quantitativer Hinsicht treffen müsse. Es bleibt abzuwarten, wie das vom Landesarbeitsgericht Hamm formulierte Zeugnis sodann lautet.

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts überzeugt. Ein Arbeitszeugnis ist eben nicht mit einem Schulzeugnis, das die einzelnen Bewertungen nur objektiv auflistet, vergleichbar. Der Arbeitgeber hat die individuellen Arbeitsleistungen und das Verhalten seiner Arbeitnehmer zu beurteilen. Er hat zu entscheiden, welche Tätigkeiten, Eigenschaften und Fähigkeiten seiner Arbeitnehmer er hervorhebt und welche er zurückstellt. Diese Nuancierungen sind in einem Zeugnis in tabellarischer Form nicht möglich.

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