Maike Mahler

Die krankheitsbedingte Kündigung - ein Instrument mit vielen Fallstricken

Nicht selten sieht sich ein Arbeitgeber vor die Aufgabe gestellt, wie mit einem/einer Arbeitnehmer*In umgegangen werden kann, der/die krankheitsbedingt immer wieder kurzfristig oder über einen längeren Zeitraum ununterbrochen ausfällt. Wenn das Arbeitsverhältnis unter das Kündigungsschutzgesetz fällt, muss eine ordentliche Kündigung aus Gründen in der Person des Arbeitnehmers sozial gerechtfertigt sein. Ein Unterfall der personenbedingten Kündigung ist die krankheitsbedingte Kündigung. Folgende drei Voraussetzungen müssen nach der Rechtsprechung gegeben sein, damit sie wirksam ist:

  1. Stufe

    Es liegen zum Zeitpunkt der Kündigung Tatsachen vor, auf die man die Prognose stützen kann, dass der/die Arbeitnehmer*In auch künftig in erheblichem Umfang infolge von Krankheit fehlen wird (negative Gesundheitsprognose).

  2. Stufe

    Die zu erwartenden Fehlzeiten des/der Arbeitnehmers*In führen voraussichtlich zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen oder wirtschaftlichen Interessen des Arbeitgebers (erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen).

  3. Stufe

    Schließlich muss eine Interessenabwägung vorgenommen werden, und zwar zwischen dem Beendigungsinteresse des Arbeitgebers und dem Fortsetzungsinteresse des/der Arbeitnehmers*In (Verhältnismäßigkeit oder Interessenabwägung).

Die Ausgestaltung der einzelnen Voraussetzungen richtet sich nach dem Krankheitsbild. Unterschieden wird insbesondere zwischen häufigen Kurzerkrankungen, langandauernder Erkrankung und krankheitsbedingter Minderung der Leistungsfähigkeit.

1. Häufige Kurzerkrankungen

Auf häufige Kurzerkrankungen gestützte Kündigungen setzen eine Wiederholungsgefahr voraus. Auch in Zukunft muss mit weiteren erheblichen krankheitsbedingten Ausfällen zu rechnen sein. Dabei können häufige Kurzerkrankungen in der Vergangenheit indiziell für eine entsprechende künftige Entwicklung des Krankheitsbildes sprechen. Bei den Fehlzeiten in der Vergangenheit ist ein Zeitraum von drei Jahren vor Zugang der Kündigung prognosegeeignet. Ferner sind Fehlzeiten ab 20 % bis 25 % der Arbeitszeit relevant.

Als wirtschaftliche Beeinträchtigungen werden außergewöhnlich hohe Entgeltfortzahlungskosten als für den Arbeitgeber unzumutbare wirtschaftliche Beeinträchtigung anerkannt, soweit sie voraussichtlich mehr als sechs Wochen im Jahr ausmachen.

2. Langandauernde Erkrankung

Bei langandauernder Erkrankung müssen im Zeitpunkt der Kündigung weitere objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass mit einer Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Ist der Erkrankungsverlauf sehr lang - so angenommen bei 18 Monaten - ist davon auszugehen, dass im Zeitpunkt der Kündigung die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit völlig ungewiss ist.

Bei Langzeiterkrankten sind Überbrückungsmaßnahmen möglich und zumutbar (z.B. Aushilfskräfte, Über- oder Mehrarbeit, personelle Umorganisation, organisatorische Umstellungen). Die Einstellung einer Ersatzkraft für die Dauer von zwei Jahren ohne Sachgrund ist gemäß der Rechtsprechung zumutbar. Insofern lässt sich auf der zweiten Stufe die Kündigung wegen langandauernder Krankheit in der Regel nur mit erheblichen betrieblichen Ablaufstörungen begründen, es sei denn, der Arbeitgeber ist auf unabsehbare Zeit gehindert, sein Direktionsrecht auszuüben. In diesem Fall wäre eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Belange anzunehmen.

Der Ungewissheit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit steht die krankheitsbedingte dauernde Leistungsunfähigkeit gleich, wenn in den nächsten 24 Monaten nach Ausspruch der Kündigung mit einer Genesungsprognose nicht gerechnet werden kann.

3. Krankheitsbedingte Minderung der Leistungsfähigkeit

Bei der krankheitsbedingten Leistungsminderung geht es darum, dass ein Arbeitnehmer wegen gesundheitlicher Beeinträchtigungen nur noch solche verminderte Arbeitsleistung zu erbringen in der Lage ist, welche die berechtigte Gleichwertigkeitserwartung des Arbeitgebers unterschreitet. Es kommt hier nicht auf Dauer oder Häufigkeit von Fehlzeiten an. Entscheidend ist vielmehr, ob und in welchem Ausmaß der Arbeitnehmer die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr erbringen kann. Problematisch ist es in diesem Zusammenhang, die durchschnittliche, regelmäßig zu erbringende Arbeitsleistung zu definieren und zu prognostizieren, ob der Arbeitnehmer krankheitsbedingt nicht in der Lage sein wird, diese durchschnittlich zu erwartende Arbeitsleistung regelmäßig zu erbringen.

Die erheblichen Beeinträchtigungen betrieblicher Interessen ergeben sich nicht aus der Belastung mit Entgeltfortzahlungskosten, sondern sie liegen darin, dass der Zahlung des vollen Entgelts keine nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen adäquate Arbeitsleistung gegenübersteht.

4. Interessenabwägung/Verhältnismäßigkeit

Im Rahmen der Interessenabwägung ist unter anderem zu berücksichtigen, ob die Erkrankungen auf betriebliche Ursachen zurückzuführen sind, ob und wie lange das Arbeitsverhältnis zunächst ungestört verlaufen ist, ob der Arbeitgeber eine Personalreserve vorhält und neben Betriebsablaufstörungen auch noch hohe Lohnfortzahlungskosten aufzuwenden hatte. Ferner sind das Alter, der Familienstand und die Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen.

Die Kündigung ist in jedem Fall nur sozial gerechtfertigt, solange der Arbeitgeber nicht alle anderen geeigneten milderen Mittel zur Vermeidung künftiger Störungen ausgeschöpft hat. Insofern konkretisiert das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) gemäß § 167 Abs. 2 SGB IX bei der krankheitsbedingten Kündigung den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Mithilfe des BEM können mildere Mittel als die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, z.B. Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder eine Weiterbeschäftigung zu geänderten Arbeitsbedingungen auf einem anderen Arbeitsplatz, erkannt und entwickelt werden. Führt der Arbeitgeber kein oder ein mangelhaftes BEM durch, trifft ihn gemäß der Rechtsprechung eine erweiterte Darlegungs- und Beweislast im Hinblick auf andere Beschäftigungsmöglichkeiten für den Arbeitnehmer.

5. Massenentlassungsanzeige

Darüber hinaus hat das Landesarbeitsgericht Düsseldorf aktuell am 15.10.2021 entschieden, dass auch bei krankheitsbedingten Massenentlassungen eine Anzeigepflicht nach § 17 KSchG besteht (LAG Düsseldorf, Urteil vom 15.10.2021, Az. - 7 Sa 405/21 -). Das LAG schließt dies daraus, dass der Gesetzgeber die ausdrückliche Anregung im Gesetzgebungsverfahren, personen- und verhaltensbedingte Entlassungen von der Anzeigepflicht auszunehmen, nicht aufgegriffen habe. Insofern sind auch bei krankheitsbedingten Kündigungen die Schwellenwerte des § 17 KSchG zu beachten.

Zusammengefasst ist die krankheitsbedingte Kündigung rechtlich nicht unmöglich, sie setzt aber unter anderem eine Entwicklung über einen Zeitraum von mindestens drei Jahren und die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements voraus, welches wiederum formal und tatsächlich ordnungsgemäß nur mit einem gewissen Aufwand durchgeführt werden kann.

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